Was haben die SUR-Verordnung und Trinkwasser miteinander zu tun?

„Trinkwasserschutz muss auf europäischer Ebene geregelt werden“

Wie hängt die geplante EU-Verordnung zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln SUR (Sustainable use of plant protection products regulation) mit der neuen Trinkwasserverordnung zusammen?

Ein Interview von Nadine Bolch mit Thomas Frank, Wasserkurator und Vorstandsmitglied der Europäischen Brunnengesellschaft Karlsruhe1.


 

Nadine: Was verbirgt sich hinter der „SUR“?
Thomas: „SUR“ steht für „Sustainable Use of plant protection products Regulation“, eine Verordnung zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln in der EU-Landwirtschaft. Vorgeschlagen hat sie die EU-Kommission am 22.6.2022. Die Verordnung enthält auch Bestimmungen zum Trinkwasserschutz: und zwar in Form eines Verbots von chemisch-synthetischen Pestiziden in Wasserschutzgebieten sowie in Wassereinzugsgebieten.2

Nadine: Warum enthält die SUR ein Verbot von Pflanzenschutzmitteln in Wasserschutzgebieten? Die Ausweisung eines Gebiets als „Wasserschutzgebiet“ heißt doch, dass das Grundwasser – und damit unser Trinkwasser – durch bestimmte Gebote und Verbote vor Verunreinigungen geschützt ist, also dass dort keine Pestiziden eingesetzt werden dürfen?
Thomas: Leider bieten die Bestimmungen in Wasserschutzgebieten keinen umfassenden Schutz vor chemisch-synthetischen Pestiziden – in Baden-Württemberg z.B. sind nur ein paar verboten.

Es gilt zudem zu unterscheiden zwischen sogenannten Wassereinzugsgebieten und Wasserschutzgebieten. Das Wassereinzugsgebiet bezeichnet die gesamte Fläche, unter der in Gestalt von Niederschlägen oder Schmelzwasser Grundwasser gebildet wird und dieses dem Brunnen oder der Quelle zufließt. In der Regel werden aber nur die empfindlichsten Teile des Wassereinzugsgebiets als Wasserschutzgebiet ausgewiesen, das Wasserschutzgebiet ist also nur ein Teil des
Wassereinzugsgebietes und z.T. – wie in Bayern – sehr klein ausgewiesen. Das führt dazu, dass in Wassereinzugsgebieten Land genutzt wird, z.B. in Form von Landwirtschaft oder Industriebetrieben. Abwässer, Pestizide, Düngemittel, Chemikalien und Abfälle können so ins Wasser gelangen – mit Folgen für die
Ökosysteme, die biologische Vielfalt und die menschliche Gesundheit. Zwar gibt es ein sogenanntes Pflanzenschutzmittelzulassungsverfahren, doch schützt es das Grund- und Trinkwasser nicht ausreichend.

Außerdem klagen Pestizid-Hersteller erfolgreich gegen Pestizid-Anwendungsbeschränkungen in Deutschland. So gelangen durch konventionelle Landwirtschaft sogenannte Abbauprodukte von chemisch-synthetischen Pestiziden in die Trinkwasser-Reservate. Auf die generell hohe Verwendung von chemisch-synthetischen Pestiziden und da Trinkwasser ein besonderes Schutzgut darstellt, reagierte die EU-Kommission mit der „SUR“ und dem darin vorgesehenen Pestizidverbot in Wasserschutzgebieten. Nur so kann die hohe Qualität des Trinkwassers erhalten bleiben.

Nadine: Worin besteht der Zusammenhang zwischen der „SUR“ und der neuen Trinkwasserverordnung in Deutschland?
Thomas: Mit der novellierten Fassung der Trinkwasserverordnung, die am 24.6. 2023 in Kraft getreten ist, wurde die EU-Trinkwasserrichtlinie (gültig ab dem 12.1.2021) in nationales Recht übertragen. Neu ist, dass die EU-Mitgliedstaaten zu einer Risikobewertung und zu einem Risikomanagement für die komplette Versorgungskette  vom Einzugsgebiet bis zum Verbraucher verpflichtet werden.

Zudem prüft nun das Gesundheitsamt, ob die Risikobewertung und der daraus abgeleitete Untersuchungsplan seitens der Wasserversorger den Anforderungen entsprechen und vollständig sind.

Mit der neuen EU-Trinkwasserrichtlinie müssen in Deutschland neben der Anpassung der Trinkwasserverordnung auch weitere Gesetze angepasst werden: das Wasserhaushaltsgesetz und das Infektionsschutzgesetz. Zudem muss eine neue Rechtsverordnung des Bundes, nämlich die Trinkwassereinzugsgebieteverordnung (TrinkwEzgV) geschaffen werden.

Nadine: Nun stößt der ursprünglich vorgelegte Entwurf der TrinkwEzgV in der Wasserbranche aber auf Ablehnung. Warum?
Thomas: Ein Grund besteht darin, dass die Wasserversorger zu einer umfassenden Risikobewertung der Trinkwassereinzugsgebiete verpflichtet werden. Dadurch entstehe der Eindruck, dass behördliche Aufgaben einfach an den Wasserversorger delegiert werden. Hier sei eine klare Abgrenzung notwendig.

Außerdem wenden die Wasserversorger ein, dass die Risikobewertung mit all ihren Anforderungen einen immensen Aufwand bedeute.

Nadine: Wie lässt sich dieses Problem lösen?
Thomas: Hier kommt nun die „SUR“ ins Spiel. Das Risikomanagement von Wassereinzugsgebieten und der damit verbundene Trinkwasserschutz muss auf europäischer Ebene geregelt werden, denn Landwirtschaftspolitik wird auf EU-Ebene gemacht: in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP): Es braucht also ein Umsteuern in der EU-Agrarpolitik (GAP) und zugleich die Umsetzung des „European Green Deal“ (von der EU-Kommission 2019 vorgeschlagen).  Die „SUR“ ist Teil des „European Green Deals“. Der „European Green Deal“ sieht vor, den Pestizideinsatz bis 2030 um
50% zu verringern und Pflanzenschutzmittel auf Agrarflächen in sogenannten sensiblen Gebieten – dazu zählen eben auch Wasserschutz- und Wassereinzugsgebiete – zu verbieten. Damit sollen die Ziele der Nahrungsmittelproduktion mit den Zielen des Umweltschutzes in Einklang gebracht werden.

Nadine: Die „SUR“ wäre also wichtig für den Trinkwasserschutz in Europa. Aber es gibt auf europäischer Ebene Widerstand gegen die „SUR“. Der ist sogar so groß, dass die „SUR“ sogar auf der Kippe steht. Wie geht es nun weiter?
Thomas: Ablehnung der SUR kommt von Seiten der Rechtspopulisten, Rechtsextremen und der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP). Ihr Argument: Ein Pestizidverbot in jenen sensiblen Gebieten wie den
Wasserschutzgebieten schränke die Landwirtschaft dermaßen ein, dass die Ernährungssicherheit in Europa langfristig gefährdet sei.

Zudem sei es für die Betreiber*innen konventioneller Landwirtschaftsbetriebe finanziell nicht zumutbar, auf Ökolandbau umzustellen.

Die Europäische Brunnengesellschaft in Karlsruhe hat im Frühsommer eine Anfrage an alle für Karlsruhe zuständigen EU-Abgeordneten geschickt, was sie für den Schutz des Karlsruher Trinkwassers tun. Bislang hat nur einer geantwortet.

Am 9. Oktober hat der Agrarausschuss des EU-Parlaments eine enttäuschende Stellungnahme zur SUR verabschiedet. Der Agrarausschuss will die Regeln für die sogenannten sensiblen Gebiete – also auch Wasserschutz- und Wassereinzugsgebiete – entschärfen und dort fast alle Pestizide zulassen. In bestimmten Fällen sollen sogar hochgefährliche Pestizide aus der Gruppe der sogenannten Substitutionskandidaten gestattet sein.3

Erfreulich ist hingegen, dass am 24. Oktober der Umweltausschuss (ENVI) des Europa-Parlaments seinen Bericht zur „SUR“ angenommen hat.4 Am 22. November wird das Plenum über die endgültige Position des EU-Parlaments zur SUR abstimmen. Im Dezember sollen sich die Agrarminister*innen auf eine gemeinsame Ausrichtung im EU-Rat verständigen. Haben Rat und Parlament sich auf ihre Position geeinigt, kommt es zu Verhandlungen zwischen EU Parlament, EU-Rat und EU-Kommission (Trilog) kommen. Abschließend würde das EU-Parlament nochmal über das Verhandlungsergebnis des Trilogs zur „SUR“ abstimmen.


 

Die Quellen zum Interview finden sich in der PDF.