Tap Talk #3

Regenwasser-Management

In der dritten Ausgabe haben wir uns einer wichtigen Grundlage für unser Trinkwasser gewidmet: dem Regenwasser. Uns hat interessiert, wie das Regenwasser in einer Stadt wie Berlin gemanagt werden kann. Und warum dafür eine Agentur gegründet wurde.
Die Herausforderungen sind klar: Einerseits die bereits hohe Versieglung und andererseits der Klimawandel. Durch Verdichtung in den Städten wird noch mehr versiegelt. Die Tendenz ist sicherlich steigend durch mehr Neubau und Wohnungsknappheit und dem Neubauziel von 400.000 Wohnungen pro Jahr, 20.000 davon in Berlin.
Das kann zu weniger Rückhalt für Wasser, weniger Grün und einem schlechteren Mikroklima führen. Und der Klimawandel wird Extremwetterlagen begünstigen. Wir müssen mit Starkregenereignissen, aber auch Hitzetagen und Dürren rechnen. Um damit klar zu kommen, müssen die Städte sich anpassen.
Wir freuen uns, dass wir zu diesem Thema Dr. Darla Nickel zu Gast hatten. Das Interview hat Samuel für a tip: tap geführt.

Foto: David Ausserhofer

Darla Nickel ist Expertin für Wassermanagement und Anpassungsstrategien an den Klimawandel. Sie ist promovierte Ingenieurin und arbeitet seit vielen Jahren als Wasserexpertin in der Praxis. Seit ihrer Gründung 2018 leitet sie die Regenwasseragentur Berlin.

Samuel: Was ist Dein liebster Ort, wenn es regnet?

Darla Nickel: Ich war neulich in Hamburg als es geregnet und gestürmt hat. Teile der Stadt waren überschwemmt. Es war ein ganz wildes Wetter. Es hat mich total beeindruckt, wie die Naturkräfte in dieser Stadt gewirkt haben. Wir waren bis spät in der Nacht unterwegs und haben das beobachtet.

 

Was sind die Herausforderungen, wenn wir über das Regenwasser sprechen?

Es gibt das Thema Starkregen. Weil die Stadt stark versiegelt ist, fließt viel Regenwasser an der Oberfläche ab, anstatt in den Boden zu versickern. Es überlastet die Kanalisation und führt an Tiefpunkten zu Überflutungen. Gleichzeitig ist die Grundwasserneubildung reduziert. Dabei liegt Berlin in einer der trockensten Regionen Deutschlands. Das über die Kanalisation abgeleitete Regenwasser steht die Stadtvegetation nicht zur Verfügung. Und es ist zu erwarten, dass sowohl die Starkregenereignisse als auch Trockenperioden durch den Klimawandel zunehmen werden.
 

Wieviel Fläche ist in Berlin versiegelt?

Geschätzte 50 % der Stadt sind versiegelt, ohne die genaue Zahl im Kopf zu haben. Das hat Folgen für den Wasserhaushalt der Stadt. Wenn Berlin nicht bebaut wäre, würde etwa 24 % – 25 % des Regenwassers zur Grundwasserneubildung beitragen. Der Rest (über 70 %) wird im Oberboden gespeichert, durch die Pflanzen aufgenommen und verdunstet. Kaum Wasser fließt an der Oberfläche ab. In der bebauten Stadt verhält es sich ganz anders, etwa die Hälfte des Regenwassers fließt über die Kanalisation ab. Es steht also deutlich weniger Regenwasser für die Pflanzen und Grundwasserneubildung zur Verfügung.

 

In heißen Sommern gab es schon Aufrufe die Straßenbäume zu gießen. Ist die Hitze ein Problem für die Vegetation und die Trinkwasserversorgung in Berlin?

Sowohl als auch. Über 50 % der Straßenbäume in Berlin sind geschädigt, wobei Trockenheit ein wichtiger wenngleich nicht einziger Faktor ist. Oft wird auch Trinkwasser zum Bewässern der Bäume verwendet. Wir benutzen also die knapper werdende Ressource um Bäume zu gießen. Da sollten wir schauen, wie das besser gelöst werden kann, um das Grün langfristig zu erhalten.

 

Nutzt ihr Klimaszenarien für Berlin?

Wir selbst nicht, aber es wird gerade für Berlin ein Masterplan Wasser aufgestellt, um zu schauen: Wie viel Wasser haben wir zur Verfügung? Welche Maßnahmen sollten wir ergreifen? Im Masterplan Wasser werden verschiedene Entwicklungsszenarien verglichen.
Das Thema der Regenwasseragentur ist die Stärkung des natürlichen Wasserhaushaltes durch Regenwasserbewirtschaftung am Ort des Anfalls. Dazu hat das Land Berlin einige Ziele gefasst. Eines davon ist: Wo neu gebaut wird, darf das Regenwasser nicht abgeleitet werden. Das Wasser muss auf dem Grundstück bewirtschaftet werden. Unsere Aufgabe ist es, die am Baugeschehen beteiligten Akteure zu befähigen, dieses Ziel umzusetzen.  Ein weiteres Landesziel betrifft die Entlastung der Kanalisation, ebenfalls durch die Bewirtschaftung von Regenwasser vor Ort durch Umbaumaßnahmen im Bestand.

 

Wie sähe denn ein gutes Szenario, ein gutes Konzept für eine Stadt aus?

Das Konzept heißt „Schwammstadt” und kommt aus dem asiatischen Raum („Sponge City“). Es drückt schon bildhaft aus, was wir erreichen wollen. Die Stadtoberfläche soll wie ein Schwamm Regenwasser aufnehmen und speichern. so dass es entweder versickern, verdunsten oder genutzt werden kann. Das funktioniert mit Maßnahmen wie Gebäudebegrünung, Zisternen, Versickerungsmulden oder auch künstliche Gewässer. Diese Maßnahmen bringen oft auch weitere Mehrwerte: Sie helfen dabei, die Stadt grüner, biodiverser, kühler und attraktiver zu machen. Maßnahmen können in dieser Hinsicht gezielt multifunktional gedacht werden, z. B. Dachbegrünung in Kombination mit Solar.

 

Wird das aktuell schon umgesetzt?

Nach vier Jahren wird jetzt einiges umgesetzt. Es gibt schon viele gute Beispiele, aber es ist noch nicht so, dass man durch Berlin läuft und als Gäst*in denkt: „Wow! Berlin ist eine Schwammstadt!“ Zuweilen sieht man es den Flächen gar nicht an, dass sie eine wasserwirtschaftliche Funktion erfüllen, z. B. wenn Regenwasser einfach in einem Park flächenhaft versickert wird.
Es ist ein Riesen-Kraftakt umzudenken und anders zu planen. Bei Neubauten gelingt die Integration durch die gesetzlichen Regelungen recht schnell. Im Bestand ist es schwieriger. Es ist eine Generationenaufgabe, die Stadt nach und nach so zu gestalten, dass wieder mehr Wasser in den Boden gelangen kann. Weniger als 1 % der Bestandsbauten werden im Jahr saniert. Ähnliches kann man für Straßen sagen.

 

Mehr Wohnungsbau, mehr Versiegelung. Das scheint dann eine Gleichung zu sein, die so nicht mehr stimmt oder?

Es gibt einen Wettstreit zwischen der Zunahme der Versiegelung und der Aufgabe, diese zu reduzieren. Man muss auch sagen: Die Politik hat schon nachgelegt, aber möglicherweise reichen die Vorgaben hier noch nicht. Im neuen Koalitionsvereinbarung für Berlin gibt es nun die Netto-Null-Versiegelung. Das heißt, wenn wir an einer Stelle versiegeln, müssen wir an anderer entsiegeln. Das könnte ein starkes Werkzeug sein. Im Bestand gibt es viel Potenzial für die Entsiegelung von Flächen, deren aktuelle Nutzung keine Versiegelung mehr verlangt.

 

Sind wir also auf einem guten Weg?

Berlin hat einen guten Start geschafft. Es ist aber einen Langstreckenlauf und wir müssen konsequent dranbleiben. Ein funktionierender Wasserkreislauf hat eine fundamentale Bedeutung für die Zukunft Berlins. Der Umgang mit Regenwasser hat eine Schlüsselfunktion, wird aber nicht allein die Wasserproblematik lösen, die auch überregionalen Einflussfaktoren unterliegt.

 

Sind die Prozesse nur in Berlin im Gange oder gibt es da Modellcharakter? Schauen wir uns woanders was Etabliertes ab?

Wir tauschen uns mit vielen Städten aus, z. B. Hamburg, der Emscher-Region oder auch Amsterdam. Die Schwammstadt gilt nicht nur in Berlin als Zielvorstellung. Die Bundesländer schauen untereinander, wie es woanders läuft. Es findet also sehr viel Wissenstransfer statt. Was in Berlin beispielhaft ist, ist die Konsequenz, mit der Begrenzung von Regenwasserableitungen umgesetzt wird. Einleitbeschränkungen werden sicherlich auf kommunaler Ebene noch an vielen Orten ausgebaut. Lokalspezifische Anforderungen müssen dabei berücksichtigt werden. Das Gewässersystem in Berlin reagiert besonders sensibel auf Mischwasserüberläufe, daher ist die rigorose Einleitbeschränkung notwendig, das ist aber nicht überall so. Gerade kleine stehende Gewässer freuen sich über Einleitungen, wenn das Wasser eine ausreichende Qualität hat.

 

Wie bringt man private Akteure dazu sich zu beteiligen?

Grundstückseigentümer stehen nur dann in der Pflicht, Regenwasser vor Ort zu bewirtschaften, wenn sie neu bauen oder grundhaft sanieren. Ansonsten gibt es Förderprogramme und Einsparmöglichkeiten bei der Niederschlagswassergebühr, die einen Anreiz zum Umbau von Bestandsflächen darstellen. Berlin hat zum Beispiel die höchste Niederschlagswassergebühr. Die aktuelle Erfahrung zeigt, dass diese Anreize nicht ausreichen, um eine ausreichend schnelle Änderung herbeizuführen. Es braucht ganz sicher weitere Instrumente. Da müssen wir in dieser Legislaturperiode weiterkommen.

 

Wie komme ich an das Regenwasser, wenn ich in der Stadt wohne z. B. um Bäume zu gießen?

Regenwasser von den Dächern kann in Tonnen oder Zisternen auf den Grundstücken aufgefangen und für die Bewässerung genutzt werden. Im öffentlichen Raum kommt man nicht an das Regenwasser ran. Bürger*innen ohne Grundbesitz möchten sich auch gerne beteiligen. Das sieht man am Erfolg von „Gieß den Kiez“.

 

Alex: Ein Beispiel sind vielleicht die Gießkannenheld*innen in Essen. Ehrenamtliche bekommen Wasser aus Wasserspeichern, die über die ganze Stadt verteilt sind, um Bäume zu retten.

Das ist ein super Beispiel, das ich mir auf jeden Fall anschauen werde.

 

Nadine: In Karlsruhe gibt es auch schon einen Trinkbrunnen mit einer Zisterne. Ich kann allerdings nicht sagen, was mit dem aufgefangenen Regenwasser passiert. Das wäre natürlich toll, wenn man das für Urban Gardening nutzen könnte.

Das ist auch eine Frage für Berlin. Es gibt hier auch Trinkbrunnen, die dauerhaft laufen und durchgespült werden. Das Wasser sollte nicht abgeleitet, sondern genutzt oder versickert werden.

 

Mit Blick auf die Verknappung der Ressource müssen wir über Nutzungskonflikte bei der Trinkwassernutzung sprechen. Kannst du dazu was empfehlen?

Es läuft in Berlin die Diskussion zum gesamtstädtischen Umgang mit Wasser. Da ist Wassersparen auch ein Thema und präsenter als noch vor 10 Jahren. Im Masterplan Wasser werden die Grundlagen gelegt. Wo sind die größten Einsparpotentiale? Wofür nutzen wir Wasser und wie viel? Was tut man mit dem Wasser? Ich kann dazu auch noch keine gezielte Empfehlung geben. Für mich persönlich ist klar: Wir müssen für einen sparsameren Umgang mit der Ressource Wasser werben und alle Potenziale nutzen! Ebenso wichtig: Die Qualität muss gesichert werden. Wir alle können dazu einen Betrag leisten, indem wir bestimmte Stoffe nicht über die Toilette entsorgen, z. B. Medikamente oder Chemikalien.

Foto: pexels.com Jill Burrow

Die Qualität und Inhaltsstoffe von (Regen-)Wasser sind ein spannendes aber großes Thema. Dieses werden wir für einen der nächsten Talks nochmal aufgreifen. Unsere Tap Talks sind eine unregelmäßige Reihe zu aktuellen Themen rund ums Trinkwasser.